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Konzert am 18. Juni 2002 | 19:30 | Mozart-Saal | Konzerthaus
18. Juni 2002 | 19:30
Giuseppe Verdi (1813 – 1901)
„La forza del destino“, Ouverture (1862)
„Don Carlo“
Duetto (Scena 6) Finale atto secondo / Filippo, Posa
Aria „Ella giammai m’amò“ / Filippo
Duetto (Scena 11) „Il grande Inquisitor“ / Filippo, Inquisitore
Roberto Frontali, Bariton
Bonaldo Giaiotti, Bass
Albert Pesendorfer, Bass
***
Modest Mussorgsky (1839 – 1881)
„Chowanschtschina“, Ouverture
„Lieder und Tänze des Todes“(Golenistschew-Kutusow)
(Bearbeitung für Orchester: Dmitri Schostakowitsch) (1906-1975/1962)
Wiegenlied – 1875
Serenade – 1875
Trepak – 1875
Der Feldherr -1877
Roberto Frontali, Bariton
Konzertvereinigung im Wiener Konzerthaus
Tiziano Duca, Dirigent
Aus dem Programmheft:
Macht und Tod
Verdi und Mussorgsky: Zeitgenossen, die sich nicht kannten, aber je auf ihre Art als Komponisten versuchten, eine universale Sprache zu finden. Beide bezogen sich als dramatische Künstler auf die Kraft und Präsenz des Wortes.
„Macht und Tod“ – das ist der dramaturgische Subtext des heutigen musikalischen Abends. In „Don Carlo“ ist die Auseinandersetzung mit Fragen von Macht und Politik zentral. Als geschlossenes „Drama im Drama“, durchaus denkbar auch als eine zusammenhängende musikalische Großform, werden nach einer großen Ouvertüre drei Schlüsselszenen aus „Don Carlo“ vorgestellt: Der Marquis Posa greift König Philipps Arroganz der Macht und seinen Friedhofs-Frieden an und wird von ihm verstanden (1), Philipp zeigt, gebrochen und voller Todessehnsucht, seine Schwäche als Mensch, als Mann, als König (2) und sucht Hilfe beim Mächtigsten, dem Großinquisitor, der von ihm fordert, Posa zu opfern (3). Der Kampf geht (noch) unentschieden aus, endet mit einer offenen Frage. „Was ist Friede?“
In den vier von Dmitri Schostakowitsch kongenial orchestrierten „Liedern und Tänzen des Todes“ beantwortet Mussorgsky diese Frage aus ganz anderem Blickwinkel, indem er von der Macht des Todes erzählt, die alles auf Null bringt. „Auch Ihr Mächtigen werdet nicht vergessen“, singt der Tod als Feldherr zynisch auf dem Schlachtfeld, „ich werde auf Eurem Grab tanzen, bis Eure Knochen nicht mehr aus der Erde herausragen“.
Hätte Mussorgsky mit Verdi zu tun gehabt, er hätte ihn – gleich Tschaikowsky, in dessen Ouvertüren (etwa „Romeo und Julia“) sich durchaus Spuren der von Verdi eigens für St. Petersburg komponierten Opernouvertüre zu „La forza del destino“ finden lassen – als dekadenten „Westler“ bekämpft. Uns heute frappieren die Parallelen in ihrer Musik und ihren Haltungen: die drastische Eindrücklichkeit ihrer Beschreibungen von Kriegsschrecken, die Entlarvung von Machtposen, ihr humanistischer Pessimismus, ihr Mitleid mit den gequälten Menschen. Und nicht zuletzt ihre unglaubliche musikalische Imaginationskraft.
Giuseppe Verdi
Nur zwei Opern waren es, die Giuseppe Verdi in den Sechzigerjahren komponierte. Der Mailänder Scala hatte er grollend den Rücken gekehrt und geschworen, sie nie wieder zu betreten. 1862 wurde in St. Petersburg „La forza del destino“ uraufgeführt. Das melodramatische Libretto von Francesco Maria Piave ist eine Kette von Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten, aber Verdi machte dennoch ein Meisterwerk daraus. Entgegen der sonstigen Gepflogenheit, seinen Opern meist nur ein kurzes (aber vielsagendes) Orchester-Preludio voranzustellen, komponierte er im Nachhinein eine großangelegte Ouvertüre, in der die Hauptcharaktere dramatisch und effektvoll einander gegenübergestellt werden. Nach drei Orchesterschlägen (wir werden ihnen im „Don Carlo“ wiederbegegnen) eröffnet ein episches Motiv die Musik, das dann die der Reihe nach eingeführten weiteren Themen untermalt. Besonders die herrliche Kantilene aus Leonoras Arie im 2. Akt ist hervorzuheben, mit der die Ouvertüre vor einer grandiosen Coda ihren Höhepunkt erreicht.
Fünf Jahre später kam „Don Carlo“ in Paris heraus, Verdis erstes wirkliches Musikdrama, seine Auseinandersetzung mit der Frage der Macht von Staat und Kirche, sein Manifest gegen Tyrannei, sein Plädoyer für Freiheit, religiöse Toleranz, Freundschaft, Liebe. Die französischen Librettisten fügten dem Schillerschen Drama, in dem die politische Geschichte mit einem Familien- und Liebeskonflikt verknüpft wird, eine Menge von Nebenhandlungen hinzu. Verdi, sonst immer auf Kürze bedacht, komponierte seine längste Oper, gab auch den politischen Auseinandersetzungen breiten Raum.
Ein vorzügliches Beispiel eines solchen großen Disputs ist die Schlüsselszene (Szene 6 / Finale 2.Akt) zwischen dem autokratischen spanischen König Philipp und dem Marquis Posa, dem Freund von Don Carlos, in der dieser den Mut aufbringt, dem Herrscher zu erklären, daß die Inquisition aus Flandern einen Friedhof gemacht habe und Philipp um „Gedankenfreiheit“ bittet. Das Gespräch beginnt formell und höflich, ein Marschmotiv untermalt Posas Bereitschaft, für Spanien wieder das Schwert zu ergreifen, doch abrupt fügt dieser hinzu, „das Henkerbeil sollten andere tragen“. In einem Monolog, der als Erzählung beginnt und sich zur Anklage steigert, schildert Posa, von drastischen orchestralen Effekten unterstützt, die Lage in Flandern, wo Blut die Flüsse rot färbe, wo die Klagen der Witwen und Mütter gellten, nimmt sich aber noch einmal zurück, um fast salbungsvoll an des Königs Gerechtigkeitssinn zu apellieren. Unnachgiebig, jede subversive Neuerung ablehnend, die Antwort: „In meinen Händen ist selbst der Tod fruchtbar“. Diese Frucht sei der Frieden. – „Ein grauenvoller Friede! Der Friede stummer Gräber!“ (Orchesterschlag). Und als der König, hin- und hergerissen zwischen Empörung und Bewunderung, nichts antwortet, fährt Posa in seinem Plädoyer fort, an dessen Abschluß er die Freiheit fordert, musikalisch durch eine kühne, bemerkenswert ambivalente chromatische melodische Linie symbolisiert, in der auch die Unsicherheit des Königs mitschwingt, der nach langem Schweigen endlich sagt: „Seltsamer Schwärmer! Als König hab´ ich nichts davon gehört. Fürchte nichts. Aber hüte dich vor dem Großinquisitor.“ Im folgenden Duett eröffnet er Posa seine privaten Ängste, seine Eifersucht, seine Sorge um den Sohn. Der Bann ist gebrochen, eine mögliche Freundschaft scheint sich aufzutun, die Stimmen vereinen sich zum Des-Dur-Unisono. Die schaudernde Wiederholung der Warnung vor dem Inquisitor beschließt die Szene.
„Ella giammai m’amó“, die ergreifende Klage des einsamen Monarchen, leitet das erste Bild des vierten Akts ein. In der Art, wie man sie schon in der „Forza“-Ouvertüre vorfand, erklingen zu Beginn des Orchestervorspiels erklingen drei seltsame Vorschläge, ein Schicksalsmotiv, das auch an anderen Stellen des „Don Carlo“ immer wieder auftaucht. Das Solocello setzt mit schmerzlichem Gesang ein, von quälend kreisenden Violinfiguren begleitet. Zwei Teile hat Philipps Arie: Auf das Bild der Einsamkeit im Leben folgt die Vorstellung von der Einsamkeit im Tod in den kalten Gewölben des Escorial. Die Schicksalsvorschläge, nunmehr in der klagenden Oboe, deuten auf die private Tragödie.
Heinz Rögl
„Lieder und Tänze des Todes“
Die Metropole St. Petersburg sollte nach seiner Jugendzeit auf dem Lande auch zum Lebensmittelpunkt für Modest Petrowitsch Mussorgski werden. Noch während er die deutsche Petri-Schule und später die Kadettenschule des Gardekorps besuchte, erhielt er Klavierunterricht. Der Kreis junger russischer Komponisten um Alexander Borodin und Mili A. Balakirew gewann bald großen Einfluß auf den jungen Pianisten, und gemeinsam wollte man sich weiterhin um eine national-russische Musik nach dem Vorbild Glinkas bemühen, dessen künstlerische Intentionen nun gerade bei Mussorgski einen höchst individuellen Ausdrucksstil hervorbrachten. Mussorgski beschränkte sich in seinem künstlerischen Schaffen nicht darauf, dem russischen Charakter allein mit musikalischen Mitteln gerecht zu werden. Weit entfernt von Glinkas Weltbürgertum war Mussorgski mit seiner emotionalen Nähe zur Volksseele seiner Heimat tief verwurzelt im spezifischen Spannungsfeld russischer Kunst zwischen psychologischem Realismus und phantastischer Mystik, das sich überdeutlich in den zwischen 1875 und 1877 entstandenen «Liedern und Tänzen des Todes» manifestiert.
Der Zyklus gehört – auch in der von Schostakowitsch besorgten Orchesterfassung – zu den populärsten Vokalschöpfungen Mussorgskis. Der Dichter Alexander Golenischtschew-Kutusow stellt den Tod hier als eine durchaus zweideutige Gestalt dar, zum einen als schmeichelnden Verführer, zum anderen als unbarmherzigen Sieger über das Leben, dem bei aller Grausamkeit allerdings nie das mitleidende Moment fehlt, das den gequälten Menschen zu Ruhe und Frieden führt.
Da stellt der Dialog zwischen dem Tod und der Mutter eines kranken Kindes im «Wiegenlied» einen eingängigen musikalischen Gegensatz zwischen den verängstigten Ausrufen der Mutter und der zwingenden Unbeirrbarkeit der melodischen Formel des Todes auf.
In der «Serenade» tritt der Tod als werbender Liebhaber auf, die Harmonik verbreitet einen «gleichsam narkotisierenden Frühlingsduft» (Hans Christoph Worbs) im Krankenzimmer eines jungen Mädchens. Die glühende Liebeswerbung einer sinnlich-schmeichelnden Serenaden-Melodik mündet schließlich abrupt in dem triumphierenden Ausruf des Todes «Nun bist du mein!» Leere Quintklänge – die Mollterz wird erst im Baß nachgestellt – zeichnen die Einsamkeit der winterlichen Schnee- und Todeslandschaft in «Trepak» (d. i. ein russischer Tanz).
Höhnisch verspricht der Tod dem kleinen Bauern, dessen müder stolpernder Schritt sich in der Trepak-Melodik wiederfindet, einen süßen Schlaf, doch «abermals breiten sich trostlos leere Quinten wie ein Leichentuch aus Schnee über den Erfrorenen» (Worbs).
In «Der Feldherr» bleibt der Tod schließlich nach einem musikalischen Schlachtengemälde der einzige Sieger der kriegerischen Auseinandersetzung und nimmt als «der wahre Feldherr und Held» in der Nacht noch einmal die Parade der Gefallenen ab. Dazu Werner Oehlmann: «Der romantische Gedanke der nächtlichen Heerschau, ein düsterer Nachklang der napoleonischen Kriege, wird hier in seiner ganzen Tiefe erschöpft, weil er nicht der Verherrlichung eines Feldherrn dient, sondern die schreckliche Majestät des Todes, des einzigen Gewinners der Schlachten, glorifiziert.»
Kerstin Piribauer