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Opernzyklus am 12. Juni 2003 | 19:30 | Mozart-Saal | Konzerthaus

12. Juni 2003 | 19:30

ein Zyklus konzertanter Opernaufführungen mit Werken von
Joseph Haydn (1. Abend)
L’infedeltà delusa
Burletta per musica in due atti
Hob. XXVIII/5 (1773)
Libretto von Marco Coltellini

18:30 Uhr – Mozart-Saal: Werkeinführung mit Dr. Harald Haslmayr

Teresa Gardner (Sopran) – Vespina
Claudia Emà Camie (Sopran) – Sandrina
Bernhard Berchtold (Tenor) – Filippo
Kirlianit Cortes Galvez (Tenor) – Nencio
Tijl Faveyts (Bass) – Nanni
Tiziano Duca – Dirigent
Konzertvereinigung im Wiener Konzerthaus
Continuo:
Petra Zenker – Cembalo
Gabriele Janezic – Violoncello
Norbert Szirch – Kontrabass

Zum Inhalt:

L’Infedeltà delusa, (Untreue lohnt sich nicht)
Musik: Joseph Haydn. Burletta per musica in 2 Akten.
Libretto: Marco Coltellini, möglicherweise bearbeitet von Carl Friberth.
Erstaufführung in Esterháza am 26. Juli 1773.
Filippo, ein alter Bauer, Tenor
Nencio, reicher Bauer, Tenor
Vespina, Sopran
Nanni, deren Bruder, Bariton
Sandrina, Tochter des Filippo, Sopran

INHALT DER OPER
Ort und Zeit der Handlung: Ein Dorf in der Toscana im 18. Jahrhundert.
Die Komödie spielt im Bauernmilieu. Die junge Bäuerin Vespina liebt den reichen Bauern Nencio, der seinerseits das Bauernmädchen Sandrina heiraten will. Sandrina aber liebt Vespinas Bruder Nanni. Die schlaue Vespina spinnt darauf hin ein Netz von Intrigen und schafft mit Hilfe zahlreicher Verkleidungen jedem den richtigen Partner.

1. AKT
Nach der prachtvollen dreiteiligen Ouvertüre (nicht der einzigen, denn vor dem zweiten Akt steht eine weitere Sinfonia), preisen Filippo, Vespina, Nencio und Nanni in ländlicher Landschaft die Schönheit des Sommerabends (Nr.1: Introduzione/Quintetto: Bella sera, ed aure grate). Aber inmittten der pastoralen Idylle schöpft das Geschwisterpaar Vespina und Nanni bereits Verdacht: Der alte Bauer Filippo, Vater Sandrinas, hat mit dem reichen Nencio abgemacht, im Sandrina zur Frau zu geben. Sandrina aber liebt Nanni – und Vespina den Nencio. Mit dem Hinzukommen der beunruhigten Sandrina, die von ihrem Vater Aufklärung verlangt, von diesem aber zu Gehorsam und Schweigen verdonnert wird, wird die Gangart der Musik aufgeregter. Sandrina und Filippo bleiben allein zurück, der Alte bedeutet ihr, sie werde durch die Heirat des Nencio reich werden, doch Sandrina antwortet, was kümmert mich Reichtum, wenn ich meinen Nanni nicht kriege und dann nicht zufrieden bin? Worauf ihr der Alte eine Predigt verpasst: Wenn ein Armer kommt, heißt es nein sagen, nur beim Reichen soll man schnell zum Du-Wort kommen und basta! (Aria Nr.2: Quando viene a far l’amore).

Sandrina verschafft Nanni Gewissheit über die Absichten Filippos (Nr.3: Che imbroglio è questo); Nanni, allein zurückgelassen, tobt. (Nr 4: Non v’è rimedio, non v’è compenso).

Vespina besingt Süße und Schmerz ihrer Liebe zu Nencio (Nr.5: Come piglia si bene la mira). Vom Bruder über die Intrige Filippos und Nencios aufgeklärt, schwören die Geschwister gemeinsam Rache (Nr. 6, Duetto: Son disperato).

Aufgeputzt als Freier, singt Nencio vor dem Haus Filippos für Sandrina eine köstlich charakterisierte Serenade voller Komik, in der er die Vorzüge der Landmädchen gegenüber den geschminkten, herausgeputzten und falschen Stadtdamen preist: Die vom Land waschen sich mit klarem Wasser, machen keine Techtelmechtel und können zudem auch noch gut arbeiten. (Nr. 7: Chi s’impaccia di moglie cittadina, va cercando di dote, e trova guai …). Im folgenden Rezitativ sucht er Sandrina vergeblich zu überreden, ihn doch zu heiraten und droht ihr sogar Gewalt an.

Vespina, die mit Nanni den Auftritt beobachtet hat, setzt mit ein paar schallenden Ohrfeigen, die Nencio von ihr erhält, das turbulente Finale (Nr.8) in Gang. Bis zur Erschöpfung (mancando) gehen die gegnerischen Parteien aufeinander los, bis die Wut im Abschluß-Presto noch einmal voll hervorbricht.

2. AKT:
Eine jagende Sinfonia eröffnet – prestissimo – den zweiten Akt.
Vespina weiht Nanni in ihre Pläne ein. Als alte Frau verkleidet, tritt sie Filippo in den Weg und erzählt ihm, sie sei die gebrechliche Mutter einer beklagenswerten Tochter, die von einem gewissen Nencio geheiratet, geschwängert und anschließend von diesem verlassen worden sei. Höchst interessiert hört ihr Filippo zu und wird sodann auch noch von der Alten über ihre sämtlichen Gebrechen und Krankheiten, begleitet von einem schrecklichen Husten, aufgeklärt. (Nr.9: Ho un tumore in un ginocchio).
Filippo, außer sich vor Zorn über diese Kreatur, mit der er um ein Haar seine Tochter verheiratet hätte, weist Nencio die Tür und sperrt sich und Sandrina in sein Haus ein. Der befremdete Freier klopft vergeblich, Filippo überschüttet ihn mit Verwünschungen und Beschuldigungen (Nr.10: Tu sposarti alla Sandrina?).

Allein gelassen, versteht Nencio die Welt nicht mehr. Da taucht Vespina in einer neuen Verkleidung auf: Als „deutscher“ Diener eines Marchese singt sie ein ausgelassenes Trinklied (Nr. 11: Trinche vaine allegramente, …. lustig, lustig, paesan, spaisen vuol, paghar niente ,…“ ). Sein Herr, der Marchese von Ripafratta, erzählt der Diener dann, wolle Sandrina heiraten. Als nächstes erscheint Vespina auch schon als der hochmütige Marchese selbst. Er informiert Nencio, dass er Sandrina nur zum Schein die Ehe versprochen habe und diese in Wahrheit durch Vertauschung der Namen im Kontrakt mit einem seiner Küchenjungen verheiraten wolle. Sandrina werde dann, nach einmal gültig abgeschlossenem Ehevertrag mit dem Domestiken, nichts anderes übrig bleiben, als sich beim Marchese als Dienstmagd zu verdingen. Der sich von Filippo geprellt fühlende Nencio ist über diese Wendung begeistert und gleich bereit, einen Trauzeugen zu spielen. Er kostet die Vorfreude über seine Rache aus (Nr. 12: Oh che gusto).

Vespina beruhigt indessen Nannis Sorgen über die chaotisch zugespitzte Situation. Sie habe ihre Netze und Leimruten gut ausgelegt (die Spatzen im Orchester tschilpen und pfeifen mit): Ho tesa la rete (Nr. 13), alles wird sich zum Besten wenden.

Filippo versucht Sandrina von den Vorzügen höfischen Lebens als große Dame zu überzeugen, das jetzt auf sie warte. Sie werde in Samt und Seide gekleidet sein, das feinste Essen bekommen, Bedienstete haben, eine Kutsche, eine Sänfte … Sandrina erwidert, ach, die Bedienten werden alles über mich austratschen, und wozu braucht es eine Sänfte, wenn man gesunde Beine hat. Ich brauche doch nur eine Hütte, Brot und meinen Nanni. Ihre nun folgende Arie ist ein wahres Juwel (Nr.14: È la pompa un grand’imbroglio): „Der Pomp ist nur eine Verirrung; Reichtum, Prunk, Ehre sind es nicht, die ich suche, sondern nur den Frieden meines Herzens.“ – Das schöne Bekenntnis eines Bauernmädchens zum einfachen Leben weitet Haydn mit einem genialen Kunstgriff ins Gemeinschaftliche, indem er die berückende Gesangslinie die gesamte Arie hindurch colla parte durch die Geigen begleiten lässt, beziehungsweise durch Oktavierung quasi „zweistimmig“ führt. Nicht von der Hand zu weisen ist die Idee, dass Haydn hier seinem Fürsten selbst Reverenz erweist und die Möglichkeiten preist, die ihm aus seiner zwar bescheidenen und abgeschiedenen, aber gesicherten Existenz in Esterháza erwachsen sind. Der große, feierliche und doch auch leicht melancholische Gestus dieser Musik, ihre hervorgehobene Position in der Gesamtdramaturgie spricht durchaus für diese Auslegung.

Finale: In ihrer letzten Verkleidung erscheint Vespina (als Vorläuferin der Mozartschen Despina) als Notar, Nanni „vertritt“ im Gewand eines Domestiken bei der Traungszeremonie seinen Herrn. Doch dann geben Despina und Nanni sich zu erkennen: Nach anfänglicher Wut Filippos und Nencios erfolgt die allgemeine Versöhnung. Die Doppelhochzeit Sandrinas mit Nanni sowie Vespinas mit Nencio, dessen Untreue überlistet wurde, wird eingefeiert.
Heinz Rögl

Was nun „L’infedeltà delusa“ im speziellen betrifft, griff Haydn auf ein Libretto des in Livorno geborenen Marco Coltellini (1719 – 1777), der 1769 die Nachfolge von Pietro Metastasio als Hofdichter in Wien angetreten hatte, zurück. Ein festliches Ereignis war der Grund für diese Komposition: am 26. Juli 1773 feierte man den Namenstag der verwitweten Fürstin Maria Anna Louise Esterházy, der Gattin des 1762 verstorbenen Fürsten Paul Anton, der Haydn am 1. Mai 1761 bekanntlich als Vizekapellmeister nach Eisenstadt engagiert hatte. Dessen Nachfolger Nikolaus, „der Prachtliebende“ richtete nun für seine Schwägerin ein glanzvolles Fest ein, das in einem nächtlichen Maskenfest und einem Feuerwerk kulminieren sollte, eine „Versuchsanordnung“ die durchaus mit der Situation im Prolog von „Ariadne auf Naxos“ vergleichbar ist. Im Beisein von Erzherzogin Marie-Christine, einer Tochter Maria Theresias, erklang nun L’infedeltà delusa, doch leider sind uns keine „Publikumsreaktionen“ überliefert. Fünf Wochen später jedoch fiel am selben Ort der berühmte Ausspruch von Maria Theresia: „Wenn ich gute Opern hören will, gehe ich nach Esterháza“. Die Kaiserin persönlich hatte Fürst Nikolaus einen Besuch abgestattet, und Haydn, der ursprünglich an eine Aufführung seiner 1762 geschriebenen Oper „Acide“ gedacht hatte, entschloss sich im letzten Moment doch für „L’infedeltà delusa“, wie uns das für die Aufführung am 1. September 1778 gedruckte Textbuch beweist: „nell‘ occasione del gloriosissimo arrivo quivi de Sua Maestia L’Imparatrice Maria Theresia“. Der Erfolg war so groß, dass die Oper am 1. Juli 1774 anläßlich des Besuchs des Botschafters von Modena nochmals aufgeführt wurde, um dann erstmals wieder 1859 in Budapest zur Aufführung zu kommen.

Musikalisch spricht die Oper die Sprache der „opera buffa“, wie sie sich im 18. Jahrhundert ausgebildet hatte – im bereits zitierten Textbuch wird das Werk noch als „Burletta per musica“ bezeichnet. Haydn erweist sich nicht nur als Meister musikalischen Humors, wie etwa in der Verkleidungsszene der Vespina am Beginn des 2. Aktes, sondern auch als weitblickend disponierender Gestalter der verschiedenen musikalischen Charaktere: Pastoraltopoi, Rachefiguren, Seufzermotive, Tonartensymbolik (so steht z.B. die wutentbrannte Arie des Nanni „Non v’è rimedio“ in f-moll, der erregten Tonart des Zeitalters, in der etwa die Wutausbrüche des Grafen Almaviva oder die Appassionata Beethovens stehen). Serenaden, Volksliedparodien, Trinklieder und vor allem die kunstvollen Ensembles machen das Werk zu einem Juwel des komödiantischen Musiktheaters nicht nur des 18. Jahrhunderts. Wie schrieb Goethe, einer der größten Bewunderer Haydns, im Jahr 1826 in der Zeitschrift „Kunst und Altertum“, einen Aufsatz seines Freundes Carl Friedrich Zelter bearbeitend?

Unser Haydn ist ein Sohn unserer Zone, und wirkt ohne Hitze, was er wirkt; wer will denn auch erhitzt sein? Temperament, Sinn, Geist, Humor, Fluß, Süße, Kraft und endlich die echten Zeichen des Genies:

Naivität und Ironie, müssen ihm durchaus zugestanden werden. Sind nun die hier genannten Elementarteile, welche ohne Wärmestoff nicht denkbar sind, Haydnsche Eigenheiten, so begrüßen wir seine Kunst als antik im besten Sinn, und daß er modern sei, ist unsres Wissens, nicht bestritten worden, was auch schwer gelingen möchte, da alle moderne Musik auf ihm ruht.

Ob nun diese unserem Freunde zugestandenen Eigenschaften auf die Ursache hindeuten, weshalb er nicht tätiger für das Theater gewesen, dies möge dahingestellt sein; daß aber der Grundakkord seines ganzen Genius kein geringerer sei als der sichere Ausdruck einer freien, klaren, keusch geborenen Seele, wünschte ich wohl so wahr und warum ansprechen zu können, als ich es fühle. Auch bin ich es nicht allein, auf den seine Produktionen solche Wirkungen ausüben.
Dr. Harald Haslmayr

 

Dr. Harald Haslmayr: Joseph Haydn und die Oper
Analog zum Titel des unvollendet gebliebenen Aufsatzes über das Werk seines Lehrers von Alban Berg „Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich?“ ließe sich heute fragen: „Warum sind Haydns Opern so unbekannt?“ – Neben vielen Erklärungsmöglichkeiten scheint vor allem ein Grund für diese rezeptionsgeschichtliche Situation verantwortlich zu sein: Haydns Opern hatten das Pech, historisch genau zwischen den Opernreformen Christoph Willibald Glucks und den genialen Meisteropern Wolfgang Amadeus Mozarts zu liegen – bis heute hat sich Haydns Opernschaffen nicht aus dem Windschatten dieser beiden wahrhaft epochalen künstlerischen Strömungen lösen können.

In diesem Zusammenhang bleibt auch daran zu erinnern, daß Haydn die Werke seiner „Konkurrenten“ lebhaftest rezipierte: mit Mozart war Haydn bekanntlich nicht nur in persönlicher Freundschaft verbunden, sondern er führte im Operntheater von Schloß Esterháza auch mehrere Opern des Salzburger Meisters auf – Ironie der Geschichte, dass Haydn just am 14. Juli 1789, dem Tag des Sturmes auf die Bastille, den Eingang der Partitur von Mozarts „Le nozze di Figaro“ bestätigte! – und Gluck betreffend komponierte Haydn ein Libretto, das bereits als Gluck-Oper vorlag, nämlich „L’incontro improvviso“ (1775), und die „Armida“-Komposition von 1783 läßt sich sogar phasenweise als „Kommentar“ zur „Armida“ von Gluck auffassen. Kurz, Haydn war gerade das Genre Oper angehend, stets au courent, und war sich nicht zu schade, in seiner Antwort auf eine Anfrage aus Prag aus dem Jahr 1787, eine „opera buffa“ zu komponieren, die musiktheatralische Überlegenheit Mozarts in bis heute berührender Weise einzugestehen:

Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich jemanden anderen zur Seite haben kann. Denn könnt ich jedem Musikfreunde, besonders aber den Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts, so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde; so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuern Mann fest halten – aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genien traurig, und giebt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum fernern Bestreben; weßwegen leider so viel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnet es, daß dieser einzige Mozart noch nicht bey einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist! Verzeihen sie, wenn ich aus dem Geleise komme; ich habe den Mann zu lieb. Ich bin etc. Joseph Hayden.

Darüber hinaus hat der amerikanische Musikologe Charles Rosen in seinem Buch „Der klassische Stil“ darauf hingewiesen, daß Haydn als Meister der Instrumentalmusik (Streichquartett, Symphonie) über eine so hochdifferenzierte Meisterschaft in der kompositorischen Gestaltung kleinster Takteinheiten verfügte, daß diese Zugangsweise ihn bei der Architektur „großer“, dramatischer Spannungsbögen für die Oper sogar behindert haben mochte.

Wie immer dem auch sein mag, ist es hoch an der Zeit Haydns Opernschaffen neu zu entdecken. Und man lasse sich nicht täuschen: obwohl Haydn eben als Meister der Instrumentalmusik gilt, widmete er sich in einem bedeutenden Abschnitt seines Lebens beinah ausschließlich dem Genre „Oper“, der noch im 18.Jahrhundert ohne Zweifel höchstgeschätzten Kunstgattung überhaupt. Von1776 – 1784 war Haydn gleichsam „hauptberuflich“ Opernkapellmeister im Operntheater von Esterháza, dem ungarischen Versailles südlich des Neusiedlersees, für das er freilich schon zuvor Opern komponiert hatte, wie eben „L’infedeltà delusa“ von 1773. Aus heutiger Sicht läßt sich kaum noch nachvollziehen, welche ungeheure Arbeitsleistung Haydn in diesen Jahren zu erbringen hatte:

Im Jahrzehnt von 1770 – 1780 dirigierte Haydn nicht weniger als 1038 Aufführungen, davon 60 (!) Uraufführungen. Im Jahr 1786 präsentierte er an 125 Spielabenden – Dezember und Jänner waren die beiden einzigen spielfreien Monate – acht Erstaufführungen und neun Reprisen! Von den 78 bis zum Jahr 1784 gespielten Opern stammten 15 von Haydn selbst.

Weiters gilt es zu bedenken, dass Haydn ja keine „Partituren“ im heutigen Sinn geliefert bekam, sondern die einzelnen Stimmen mühsam für seine Möglichkeiten umarbeiten oder sogar eigene Einlagearien komponieren musste, von der Mühe des Notenkopierens ganz zu schweigen. Genauso war er für die Auswahl der Sänger und die Koordinierung der Proben zuständig, ja er wurde sogar für die Ausarbeitung der Bühnen- und Kostümentwürfe herangezogen. Ab 1771 assistierte ihm dabei der aus Italien engagierte Pietro Travaglia.

Die Auswahl der Opern wurde durch Vertrauensmänner des Fürsten in den internationalen, vor allem natürlich italienischen Opernzentren erleichtert, ja vielleicht allererst ermöglicht. So war in Rom der eben so genannte „Consigliere“ Leopoldo Mazzini für die Esterházy tätig (ab 1775 erhielt er für seine Beratertätigkeit, die auch die Literatur und die bildende Kunst umfaßte, sogar ein regelmäßiges Gehalt), in Bologna stand der Dichter Martelli zur Verfügung, in Mailand der Graf Lemberg und schließlich in Venedig der Graf Durazzo. Diese Auflistung zeigt in aller Deutlichkeit die italienische Ausrichtung der Opernästhetik der Esterházy, von Ideen zur Errichtung eines Deutschen Nationaltheaters, wie dies 1776 ja Joseph II. in Wien versuchen sollte, war man hier weit entfernt. Freilich gelangten auch in Deutsch gesungene Singspiele zur Aufführung, und auch die Darbietungen in den von Wandertruppen vorgetragenen Schauspielen waren natürlich auch deutschsprachig.

Wie wir bereits wissen, setzte Haydns Tätigkeit als Opernkomponist bereits vor seiner Zeit in Esterháza ein. Nach dem komödiantischen Experiment „Der krumme Teufel“ der Wiener Zeit, führte Haydn 1763 gleichsam als theatralischen Einstand seine Festa teatrale „Acide“ in Eisenstadt anläßlich der Hochzeit des späteren Fürsten Paul Anton II. mit Maria Theresia Gräfin Erdödy auf. Nach zwei erhaltenen Komödien, nämlich “La Marchesa Nespola” (ca. 1763) und “La canterina” (1766) und einigen verschollenen musikalischen Komödien, setzt sich Haydn Ende der sechziger Jahre erstmals mit Werken des für die Struktur der Buffo-Oper tonangebenden Venezianers Carlo Goldoni auseinander: “Lo speziale” (1768) und “Le pescatrici” (1769). Am 26. Juli 1773 kam „L’infedeltà delusa“ zur Aufführung, die erste Gestaltung eines türkischen Sujets ist das Dramma giocoso “L’incontro improvviso” (1775) – zwölf Jahre später sollte Mozart seinen „Don Giovanni“ ebenfalls unter die Bezeichnung Dramma giocoso stellen.

Nach der intensiven Ausweitung des Opernbetriebes im Jahr 1776 schreibt Haydn seine dritte Goldoni-Oper „Il mondo della luna“(1777), die erste seiner Opern, die sich im 20. Jahrhundert einer veritablen Renaissance erfreuen sollte. Noch vor dem verheerenden Brand des Operntheaters am 18. November 1779 hatte Haydn „La vera costanza“ (ca. 1778) komponiert – von dieser Oper existiert nur noch die 2. Fassung von 1785 – und auch die ins Oratorienhafte hinüberspielende Metastasio-Oper “L’isola disabitata” (1779), die bezeichnenderweise die Bezeichnung Azione teatrale trägt. Die Wiedereröffnung des neu hergestellten Operntheaters erfolgte am 25. Februar 1780 mit „La fedeltà premiata“ – in völlig neue Bereiche der Operngattung sollten schließlich Haydns letzte beide Opern für Esterháza weisen:
„Orlando paladino“ (1782) – ein Stoff aus Ariosts „Orlando furioso“ verläßt die heitere Welt der Buffa und wird deshalb auch als Dramma eroico-comico bezeichnet, und vollends das Dramma eroico „Armida“ (1783), dem Epos „Gerusalamme liberata“ von Torquato Tasso folgend, wird in die Bereiche der Opera seria vordringen, ohne deren traditionellen Forderungen – wie wir sehen werden – mehr völlig Genüge zu tun.

Dr. Harald Haslmayr
Der Kulturhistoriker Harald Haslmayr wurde 1965 in Graz geboren. Studium der Geschichte und Deut-schen Philologie. 1994 promovierte er mit einer Arbeit über geschichtsphilosophische Aspekte im Werk Robert Musils. Seit 1991 ist er Lehrbeauftragter und Assistent am Institut für Wertungsforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst sowie Lehrbeauftragter am Institut für Österreichische Ge-schichte an der Karl Franzens Universität Graz. Zahlreiche Publikationen zu kulturhistorischen, ästhetischen und philosophischen Themen. 1999 erschien sein bemerkenswertes Musikporträt „Joseph Haydn, sein Werk – sein Leben“ im Verlag Holzhausen.

 

Opernzyklus am 12. Juni 2003 | 19:30 | Mozart-Saal | Konzerthaus

Details

Datum:
12. Juni 2003
Zeit:
19:30
Veranstaltungskategorie:

Veranstaltungsort

Konzerthaus
Lothringerstraße 20
Wien, 1030 Österreich
Telefon:
+43 1 242002
Webseite:
www.konzerthaus.at

Veranstalter

Wiener Konzerthaus
E-Mail:
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Webseite:
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