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Opernzyklus am 27. Juni 2003 | 19:30 | Mozart-Saal | Konzerthaus
27. Juni 2003 | 19:30
ein Zyklus konzertanter Opernaufführungen mit Werken von
Joseph Haydn (2. Abend)
La fedeltà premiata
Dramma giocoso in tre atti
Hob. XXVIII/10 (1781)
Libretto von Giambattista Lorenzi
18:30 Uhr – Mozart-Saal: Werkeinführung mit Dr. Harald Haslmayr
Odett Csepela (Sopran) – Celia (Fillide)
Monica Guillen-Chavez (Sopran) – Amaranta
Anna Behne (Sopran) – Nerina
Alexandra Holzer (Sopran) – Diana
Shin Taniguchi (Bariton) – Melibeo
Bernhard Berchtold (Tenor) – Fileno
Robin Adams (Bariton) – Perrucchetto
Kirlianit Cortes Galvez (Tenor) – Lindoro
Konzertvereinigung im Wiener Konzerthaus
Tiziano Duca – Dirigent
Wiener Motettenchor, Choreinstudierung: Ingrun Fussenegger
Continuo:
Petra Zenker – Cembalo
Gabriele Janezic – Violoncello
Zum Inhalt:
La fedeltà premiata, (Die belohnte Treue)
Musik: Joseph Haydn. Dramma giocoso in 3 Akten.
Libretto: Giambattista Lorenzi
Erstaufführung in Esterháza am 25. Februar 1781.
Fillide (Celia), Alt
Fileno Bernhard, Tenor
Amaranta, Sopran
Perucchetto, Bariton
Nerina, Sopran
Lindoro, Tenor
Melibeo, Bass
Diana, Sopran
INHALT DER OPER
1. AKT
1. Bild, geweihter Wald der Göttin Diana, großer Tempel und Altar in der Mitte; zu beiden Seiten nach Bauernart gebaute, blumengeschmückte kleine Altäre, auf denen das heilige Feuer brennt; seitwärts ein großer Marmorblock mit Inschrift des Götterspruchs. Eine Gruppe von Nymphen und Schäfern von Cuma, einem idyllischen Landstrich bei Neapel, hat sich um den Tempel der Göttin Diana versammelt und bittet die Göttin um Barmherzigkeit.
Der Tempelpriester Melibeo heißt Amaranta, eine eitle und prahlerische Dame, willkommen, die der Göttin zwei Tauben zum Opfer darbringt. Melibeo erklärt Amaranta die Inschrift: Wegen des Gelöbnisbruchs einer Dianapriesterin müsse dem Moloch im Avernersee – der in der Antike als Eingang der Unterwelt galt – jedes Jahr ein Liebespaar geopfert werden, bis eine heldenhafte Seele sich freiwillig dem Tode weihe. Erst dann werde wieder Frieden ins Land einkehren. Schon zehnmal habe das Ungeheuer seine Opfer verschlungen, heute sei wieder Opfertag.
Hastig fügt Melibeo hinzu, dass Tempelpriester von diesem Gesetz natürlich ausgenommen seien und ungestraft geliebt werden können: Melibeo wirbt um Amaranta, die zum Schein auf seine Werbung eingeht. Die Nymphe Nerina beklagt sich bei Amaranta bitter über Lindoro, den Bruder Amarantas: Seit der Ankunft des Mädchens Celia habe ihr Lindoro keine Beachtung mehr geschenkt. Die stolze Amaranta ist durch die Zudringlichkeit Nerinas verletzt. Sie verlangt von Melibeo, seinen Einfluß geltend zu machen, dass Lindoro möglichst bald mit Celia vereint würde. Melibeo willigt zu Lindoros großer Freude ein („Già mi sembra“).
Allerdings erhält Melibeo einen Konkurrenten bei Amaranta: Ihre vorgetäuschten Liebesbeteuerungen („Per te m’accese amore“) werden durch die Ankunft des Grafen Perruccheto („Perückchen“) unterbrochen, der offensichtlich von Räubern verfolgt wird. Kaum befreit, beginnt er, Amaranta den Hof zu machen, die an dem Grafen offenbar Gefallen findet. In einem Lied über zwei kämpfende Stiere („Mi dica, il mio Signore“) stößt Melibeo daraufhin eine versteckte Drohung aus, die aber ungehört verhallt.
2. Bild, prächtiger Garten, geschmückt mit Statuen und Brunnen.
Fileno, aus Arkadien kommend, irrt schon vier Jahre unglücklich umher: Kurz vor der Hochzeit sei seine Braut Fillide beim Blumenpflücken durch einen Schlangenbiss verstorben. Er findet in Nerina eine mitfühlende Leidensgenossin, die ihn mit dem Bericht zu trösten versucht, dass ihr eigener Liebster – Lindoro – von einer gewissen Celia geraubt worden sei. Beide ahnen aber nicht, daß Fillide am Leben ist und dass sie und Celia ein und dieselbe Person sind. Fileno bietet Nerina seine Hilfe an, Celia zu überreden, von Lindoro zu lassen. Nerina besingt das grausame Geschick, verliebt zu sein: Um wieviel schlimmer aber sei es, ohne Liebe leben zu müssen („E amore di natura“).
3. Bild, Wäldchen
Celia (Fillide) hütet ihre Schafe und beklagt ihr Los: Ihr Geliebter Fileno – der sie seinerseits für tot hält – sei verschwunden, während sie selbst unter dem angenommenen Namen Celia umherreist, um ihn zu suchen. Sie schläft ein. Inzwischen tritt Fileno selbst auf, von Nerina geführt. Zuerst verjagt er den feigen Lindoro, der eifersüchtig die schlafende Celia bewachen will, dann nähert er sich dem Mädchen. Als sie erwacht, erkennen sie einander überrascht und freudig. Celia aber bemerkt Lindoro und den Priester Melibeo, die sie im Hintergrund beobachten. Geistesgegenwärtig erkennt sie die Gefahr, dass sie beide, Celia und Fileno, als Liebespaar dem Seeungeheuer geopfert würden, und verleugnet Fileno: Sie habe ihn niemals vorher gesehen, was diesen in Verzweiflung stürzt („Miseri affetti miei“). Er hält Celia für untreu und will sich erdolchen. Celia hält ihn zurück. Dem intriganten Priester Melibeo entgeht ihr wahres Verhältnis nicht. Amaranta ist erzürnt über den Schürzenjäger Perruchetto („Vanne … fuggi … traditore!“), der bald Celia, bald Nerina nachläuft.
4. Bild, dunkler Wald
Melibeo stellt Celia vor die Wahl, entweder Lindoro zu heiraten oder zusammen mit Fileno dem Ungeheuer vorgeworfen zu werden. Celia klagt Nerina ihr Leid, doch hat von dieser keine Hilfe zu erwarten. Dann ohrfeigt sie sie Lindoro, der sich ihr plump nähert. Daraufhin läßt Melibeo Fileno gefesselt hereinführen, um Celia zu erpressen. Als er hört, daß Celia Lindoro heiraten wird, packt ihn rasende Wut, doch die Drohung vor dem Ungeheuer versiegelt Celia die Lippen. Auf dem höchsten Grad der Verwirrung bricht eine Gruppe von Satyrn herein, die Celia entführen und das ganze übrige Szenenpersonal händeringend und klagend zurücklassen.
2. AKT
1. Bild, Wäldchen
Fileno, durch Nerina von seinen Fesseln befreit, war mit den Hirten den Satyrn nachgesetzt, doch hatte nichts erreicht, weil Celia wieder entflohen war. Da es Perrucchetto durch einen nicht ernst gemeinten Selbstmordversuch schnell wieder gelungen war, Amaranta zu versöhnen, beschließt der eifersüchtige Melibeo schnell zu handeln, um Perrucchetto aus dem Felde zu schlagen. Er erteilt nun Nerina vor allem Volk Ratschläge, wie sie Fileno durch Liebreiz gewinnen könne („Sappi che la bellezza“). (Er hofft dadurch, Celia mit Lindoro zusammenzubringen, damit er selbst Amaranta bekommt.) Fileno seinerseits unterstützt Melibeo und macht Nerina den Hof, um sich an der vermeintlich untreuen Celia zu rächen, die ihn, wie er bemerkt hat, belauscht. Sobald er abgegangen ist, beklagt sich Celia bitter bei Nerina, die ihr jedoch nur rät, von Fileno abzulassen („Volgi pure“).
2. Bild, Berg
Es ist Jagd zu Ehren Dianas. Perrucchetto erscheint, von einem Bär verfolgt, und flüchtet auf einen Baum. Amaranta wird ihrerseits von Fileno vor einem Wildschwein gerettet. Perrucchetto klettert vom Baum und rühmt sich – da Fileno sich zurückgezogen hat – als den tapferen Retter („Di questo audace ferro“).
3. Bild, finstere Grotte
Fileno, von Verzweiflung getrieben, beschließt nun endgültig, den Tod zu suchen. Zuvor aber schnitzt er eine Botschaft in einen Baum: „Per Fillide infidel morì Fileno“ (Für Fillide, die Ungetreue, starb Fileno). Seine Waffe zerbricht aber. Nach seinem Abgang tritt Celia auf, liest die Inschrift und verzweifelt nun ihrerseits. Sie richtet ihre Klage an den Schatten des vermeintlich toten Geliebten („Ombra del caro bene“). Melibeos Intrige nähert sich dem Erfolg: Auf sein Geheiß lockt Nerina Perrucchetto in die Höhle, in die Celia sich kurz zuvor zurückgezogen hat. Dann erklärt Melibeo, dass die Göttin das neue Opferpaar bestimmt habe. Mit Opfergewändern und Blumen angetan werden Celia und Perrucchetto heraus geführt. Amaranta schwankt zwischen Mitleid und Wut über den ungetreuen Grafen („Barbaro conte“). Nerina ist voller Reue, Fileno voller Verachtung für Celia. Melibeo treibt zur Eile, da man Diana nicht warten lassen dürfe. Der Akt schließt mit allgemeiner Bestürzung über den Donner, der den Zorn der Göttin verheißt.
3. AKT
1. Bild, Vorhof
Celia beteuert gegenüber Fileno vergeblich ihre Unschuld. Amaranta und Lindoro, von Nerina über Melibeos Ränke unterrichtet, wollen ihn von seinem schlimmen Vorhaben abbringen. Aber Melibeo will sich nicht erweichen lassen.
2. Bild, Feld mit Aussicht auf einen See
Die ganze Bevölkerung von Cuma ist am Ufer des Sees versammelt, um die Ankunft des Ungeheuers zu erwarten. Als schon alle Hoffnung für Celia und Perrucchetto verloren scheint, bietet sich Fileno, veranlasst durch seine große Liebe, als freiwilliges Opfer an. Als er nach vorne eilt, um sich in den See zu stürzen, verwandelt sich plötzlich die Szene: Diana erscheint, inmitten ihres Hofstaats thronend, und hebt gemäß des Orakelspruchs den Fluch, der über Cuma gelastet hat, auf: Er war einst verhängt worden, weil eine frevlerische Priesterin der Diana ein goldenes Herz aus dem Tempel geraubt und sich mit einem Liebhaber davongemacht hatte. Durch Filenos Tat besänftigt, bringt Diana es wieder zurück und schenkt den langersehnten Frieden. Fileno erhält seine Fillide, Amaranta wird Perrucchetto heiraten, der böse Priester Melibeo wird von Pfeilen durchbohrt. Die Oper endet mit dem Lobgesang auf die Milde der Göttin.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Internationalen Haydntage Eisenstadt)
Joseph Haydns Dramma pastorale giocoso „La fedeltà premiata“ entstand während des Jahres 1780 parallel zu den Wiedererrichtungsarbeiten des Eszterházaer Opernhauses, das am 18. November 1779 zusammen mit dem Redoutensaal vollständig niedergebrannt war. Die neue Oper war bestimmt für die Eröffnungszeremonie des neuen Opernhauses, die ursprünglich für den 15. Oktober 1780 festgesetzt war.
Haydn griff auf ein bereits existierendes Libretto zurück: „L’infedeltà fedele“ (Die treue Untreue), Text von Giambattista Lorenzi, die neueste Oper von Domenico Cimarosa, die zur Einweihung des neuen Teatro del Fondo in Neapel am 20. Juli 1779 komponiert worden war. Diese Textvorlage wurde bei Beibehaltung des dramaturgischen Aufbaus in vielen Details bearbeitet, gekürzt und an die Eszterházaer Gegebenheiten angepaßt: Es wurden Rollen adaptiert, neapolitanische Dialektausdrücke entfernt usw. (Von wem die Bearbeitung stammt, in die vielleicht auch Teile aus anderen Textbüchern übernommen worden sind, ist nicht bekannt.) Die Titeländerung von „L’infedeltà fedele“ in „La fedeltà premiata“ wurde wahrscheinlich vorgenommen, um Verwechslungen mit dem Original sowie mit Haydns eigener Oper von 1773, „L’infedeltà delusa“ (Die getäuschte Untreue) zu vermeiden.
Die Oper war zum festgesetzten Zeitpunkt fertig (dies dokumentiert nicht zuletzt die Menge der Kopistenrechnungen aus 1780), das Textbuch in 200 Exemplaren in Italienisch und Deutsch bei Joseph Siess in Ödenburg gedruckt, doch aus technischen Gründen musste der Eröffnungstermin in das nächste Jahr verschoben werden, wo sie am 25. Februar 1781 stattfand und wo Haydns Oper auch gleichzeitig die Saison 1781 des Eszterházaer Opernhauses einleitete.
„La fedeltà premiata“ wurde im Februar noch zweimal gegeben, achtmal im März, einmal im April und weitere fünfmal im September (insgesamt siebzehnmal 1781). Außer Haydns neuer Oper fanden während dieser Saison fünf andere Premieren italienischer Opern statt (von Anfossi, Paisiello, Picinni, Astaritta und Righini). Vier andere Opern (von Gazzaniga, Sarti, Salieri und Anfossi) wurden aus früheren Spielzeiten wiederholt.
Während des Jahres 1781 hatte einiges Theaterpersonal die Esterházysche Anstellung verlassen, und neues war aufgenommen worden war, so musste Haydn die Oper für 1782 in einigen Partien nochmals umzuschreiben. (Das betraf unter anderem die Partie der Celia, die für die Sängerin Metilde Bologna höher gelegt werden mußte. Die Partie des Perrucchetto wurde aus dem Baß in den Tenor transponiert; die Hornstimme einer Arie wurde ausgetauscht, weil der Horn-Virtuose, für den sie geschrieben wurde, abgegangen war usw.) In der neuen Fassung, für die 1782 bei Joseph v. Kurzböck in Wien ein italienisches Textbuch mit geänderter Besetzungsliste in 400 Exemplaren erschien, war die Oper ebenso erfolgreich. Sie wurde zwischen September und Dezember 1782 noch neunmal in Eszterháza aufgeführt und erlebte bis 1784 noch zehn Aufführungen. Mit insgesamt 36 Vorstellungen gehört sie zu den in Eszterháza meistgespielten Werken. Unter Haydns eigenen Opern nimmt sie in dieser Hinsicht, nach „Armida“, den zweiten Platz ein. Die Wirkungsgeschichte von „La fedeltà premiata“ blieb nicht auf Eszterháza beschränkt: In deutscher Übersetzung wurde die Oper – als „Die belohnte Treue“ – 1784 von der Truppe Carl Schikaneders und Hubert Kumpfs im Wiener Kärntnerthortheater gegeben. Bei der ersten Aufführung am 18. Dezember war Kaiser Joseph II. zugegen und das Haus so voll, dass 600 Personen „zurück mußten“. Ein Rezensent schrieb von der „vortrefflichen Musik eines Heiden“ und von dem „allgemeinen Beyfall“, den das Werk erhielt. Hubert Kumpf, ab 1785 Leiter der Theatertruppe des Grafen Erdödy, brachte das Stück zwischen 1785 und 1787 achtmal in Preßburg heraus – die Preßburger Zeitung bezeichnete Haydn in diesem Zusammenhang als den „ungarischen Orpheus“ -, 1789 auch in Ofen und Pest. 1792/93 wurde es (von der Bellomoschen Truppe) noch in Graz gespielt. Haydn selbst schätzte sein Werk hoch ein; in einem Brief vom 27. Mai 1781 an den Verleger Artaria schrieb er, nur der „Aufenthalt auf dem Lande“ habe verhindert, dass seine letzten Opernwerke allgemein bekannt würden.
„La fedeltà premiata“ ist eine Opera semiseria im Schäferkostüm (Dramma pastorale giocoso) mit im Grunde ernster Handlung und vielen komischen Situationen in der Nachfolge von Haydns eigener Oper „La vera costanza“ (1779). Die Handlung verläuft überaus verschnörkelt und verspielt. Lorenzi hat offensichtlich nicht einen konsequenten logischen Aufbau, sondern Buntheit und Abwechslung der Szenen angestrebt. Dazu zieht er sogar das Tragische heran, das bisher in musikalischen Lustspielen keinen Platz hatte. Im Interesse der Theaterwirksamkeit verschmäht er auch Maschinen (Dianas Erscheinen am Schluß, das Seeungeheuer usw.), Tänze, Fechtszenen nicht. Dadurch hat er auch dem Komponisten die Gelegenheit gegeben, der Farbigkeit des Librettos durch kontrastreiche Abwechslung der Vertonung zu entsprechen, sodass die Oper durchaus dem Auge und Ohr etwas zu bieten hat: die fröhliche Jagd, der Kampf zwischen Schäfern und Satyrn im 1. Akt, die Opferprozession im 2. Akt usw. Die Farbigkeit von Haydns Orchesterbehandlung und die Ausdrucksbandbreite seiner Melodie- und Harmonieführung übertreffen bei weitem die konventionellere „Erst“-Vertonung durch Domenico Cimarosa. (Haydn besaß übrigens nachweislich die Partitur von „L’infedeltà fedele“.) Haydns Vertonung fußt auf den strukturellen Gegebenheiten, die ihm die italienische Oper dieser Zeit vorgaben: Die musikalische Handlung in Rezitative, Arien, Duette usw. und größeren Chornummern geteilt. Während die „Secco-Rezitative“ („trockener“, nur durch Cembalo begleiteter musikalischer Dialog) die Handlung weitertreiben, dient das „Accompagnato-Rezitativ“, mit Orchester begleitet und meist kurz vor der Arie stehend, dem momentanen dramatischen Affekt; die Arie selbst (vorherrschend ist die Dacapo-Arie) dient dem stationären lyrischen Ausdruck. Für jeden Ausdruckstyp gab es noch in der Barockoper ein besonderes Arsenal an musikalischen Formeln. Haydn hält sich allerdings nicht so streng an die Grenzen der komischen Sphäre, wie dies Cimarosa tut: Nerina und Amaranta, die bei Cimarosa zum „Buffo“-Personal gehören, werden bei Haydn auch mit „ernster“ Musik bedacht. (Allerdings muß man berücksichtigen, daß dem heutigen Hörer durch den geschichtlichen Abstand manche Nuance entgeht.) Die eindrucksvollsten Partien bei Haydn sind die ausgedehnten, in sich durch Tonartverwandtschaft strukturierten Ketten-Finali der ersten beiden Akte, die aus mehreren, durch Accompagnato-Rezitative verknüpften Einzelabschnitten bestehen. (Auch darin übertrifft Haydn Cimarosa weit.)
Einige Einzelnummern der Oper haben eine größere, über die Wirkungsgeschichte der Oper selbst hinausgreifende Verbreitung erlangt: die Ouvertüre durch ihre Verwendung als Finale der Symphonie Nr. 73, „La Chasse“, und Celias große Gesangsnummer (Rezitativ und Arie) im II. Akt, „Ah come il core mi palpita in seno“, deren Konzertfassung 1782 bei Artaria in Wien unter dem Titel Cantata erschien und im November 1783 in Karl Friedrich Cramers Hamburger „Magazin der Musik“ eine begeisterte Besprechung erhielt.
Gerhard J. Winkler (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Internationalen Haydntage Eisenstadt)
Dr. Harald Haslmayr: Joseph Haydn und die Oper
Analog zum Titel des unvollendet gebliebenen Aufsatzes über das Werk seines Lehrers von Alban Berg „Warum ist Schönbergs Musik so schwer verständlich?“ ließe sich heute fragen: „Warum sind Haydns Opern so unbekannt?“ – Neben vielen Erklärungsmöglichkeiten scheint vor allem ein Grund für diese rezeptionsgeschichtliche Situation verantwortlich zu sein: Haydns Opern hatten das Pech, historisch genau zwischen den Opernreformen Christoph Willibald Glucks und den genialen Meisteropern Wolfgang Amadeus Mozarts zu liegen – bis heute hat sich Haydns Opernschaffen nicht aus dem Windschatten dieser beiden wahrhaft epochalen künstlerischen Strömungen lösen können.
In diesem Zusammenhang bleibt auch daran zu erinnern, daß Haydn die Werke seiner „Konkurrenten“ lebhaftest rezipierte: mit Mozart war Haydn bekanntlich nicht nur in persönlicher Freundschaft verbunden, sondern er führte im Operntheater von Schloß Esterháza auch mehrere Opern des Salzburger Meisters auf – Ironie der Geschichte, dass Haydn just am 14. Juli 1789, dem Tag des Sturmes auf die Bastille, den Eingang der Partitur von Mozarts „Le nozze di Figaro“ bestätigte! – und Gluck betreffend komponierte Haydn ein Libretto, das bereits als Gluck-Oper vorlag, nämlich „L’incontro improvviso“ (1775), und die „Armida“-Komposition von 1783 läßt sich sogar phasenweise als „Kommentar“ zur „Armida“ von Gluck auffassen. Kurz, Haydn war gerade das Genre Oper angehend, stets au courent, und war sich nicht zu schade, in seiner Antwort auf eine Anfrage aus Prag aus dem Jahr 1787, eine „opera buffa“ zu komponieren, die musiktheatralische Überlegenheit Mozarts in bis heute berührender Weise einzugestehen:
Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich jemanden anderen zur Seite haben kann. Denn könnt ich jedem Musikfreunde, besonders aber den Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts, so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde; so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuern Mann fest halten – aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genien traurig, und giebt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum fernern Bestreben; weßwegen leider so viel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnet es, daß dieser einzige Mozart noch nicht bey einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist! Verzeihen sie, wenn ich aus dem Geleise komme; ich habe den Mann zu lieb. Ich bin etc. Joseph Hayden.
Darüber hinaus hat der amerikanische Musikologe Charles Rosen in seinem Buch „Der klassische Stil“ darauf hingewiesen, daß Haydn als Meister der Instrumentalmusik (Streichquartett, Symphonie) über eine so hochdifferenzierte Meisterschaft in der kompositorischen Gestaltung kleinster Takteinheiten verfügte, daß diese Zugangsweise ihn bei der Architektur „großer“, dramatischer Spannungsbögen für die Oper sogar behindert haben mochte.
Wie immer dem auch sein mag, ist es hoch an der Zeit Haydns Opernschaffen neu zu entdecken. Und man lasse sich nicht täuschen: obwohl Haydn eben als Meister der Instrumentalmusik gilt, widmete er sich in einem bedeutenden Abschnitt seines Lebens beinah ausschließlich dem Genre „Oper“, der noch im 18.Jahrhundert ohne Zweifel höchstgeschätzten Kunstgattung überhaupt. Von1776 – 1784 war Haydn gleichsam „hauptberuflich“ Opernkapellmeister im Operntheater von Esterháza, dem ungarischen Versailles südlich des Neusiedlersees, für das er freilich schon zuvor Opern komponiert hatte, wie eben „L’infedeltà delusa“ von 1773. Aus heutiger Sicht läßt sich kaum noch nachvollziehen, welche ungeheure Arbeitsleistung Haydn in diesen Jahren zu erbringen hatte:
Im Jahrzehnt von 1770 – 1780 dirigierte Haydn nicht weniger als 1038 Aufführungen, davon 60 (!) Uraufführungen. Im Jahr 1786 präsentierte er an 125 Spielabenden – Dezember und Jänner waren die beiden einzigen spielfreien Monate – acht Erstaufführungen und neun Reprisen! Von den 78 bis zum Jahr 1784 gespielten Opern stammten 15 von Haydn selbst.
Weiters gilt es zu bedenken, dass Haydn ja keine „Partituren“ im heutigen Sinn geliefert bekam, sondern die einzelnen Stimmen mühsam für seine Möglichkeiten umarbeiten oder sogar eigene Einlagearien komponieren musste, von der Mühe des Notenkopierens ganz zu schweigen. Genauso war er für die Auswahl der Sänger und die Koordinierung der Proben zuständig, ja er wurde sogar für die Ausarbeitung der Bühnen- und Kostümentwürfe herangezogen. Ab 1771 assistierte ihm dabei der aus Italien engagierte Pietro Travaglia.
Die Auswahl der Opern wurde durch Vertrauensmänner des Fürsten in den internationalen, vor allem natürlich italienischen Opernzentren erleichtert, ja vielleicht allererst ermöglicht. So war in Rom der eben so genannte „Consigliere“ Leopoldo Mazzini für die Esterházy tätig (ab 1775 erhielt er für seine Beratertätigkeit, die auch die Literatur und die bildende Kunst umfaßte, sogar ein regelmäßiges Gehalt), in Bologna stand der Dichter Martelli zur Verfügung, in Mailand der Graf Lemberg und schließlich in Venedig der Graf Durazzo. Diese Auflistung zeigt in aller Deutlichkeit die italienische Ausrichtung der Opernästhetik der Esterházy, von Ideen zur Errichtung eines Deutschen Nationaltheaters, wie dies 1776 ja Joseph II. in Wien versuchen sollte, war man hier weit entfernt. Freilich gelangten auch in Deutsch gesungene Singspiele zur Aufführung, und auch die Darbietungen in den von Wandertruppen vorgetragenen Schauspielen waren natürlich auch deutschsprachig.
Wie wir bereits wissen, setzte Haydns Tätigkeit als Opernkomponist bereits vor seiner Zeit in Esterháza ein. Nach dem komödiantischen Experiment „Der krumme Teufel“ der Wiener Zeit, führte Haydn 1763 gleichsam als theatralischen Einstand seine Festa teatrale „Acide“ in Eisenstadt anläßlich der Hochzeit des späteren Fürsten Paul Anton II. mit Maria Theresia Gräfin Erdödy auf. Nach zwei erhaltenen Komödien, nämlich “La Marchesa Nespola” (ca. 1763) und “La canterina” (1766) und einigen verschollenen musikalischen Komödien, setzt sich Haydn Ende der sechziger Jahre erstmals mit Werken des für die Struktur der Buffo-Oper tonangebenden Venezianers Carlo Goldoni auseinander: “Lo speziale” (1768) und “Le pescatrici” (1769). Am 26. Juli 1773 kam „L’infedeltà delusa“ zur Aufführung, die erste Gestaltung eines türkischen Sujets ist das Dramma giocoso “L’incontro improvviso” (1775) – zwölf Jahre später sollte Mozart seinen „Don Giovanni“ ebenfalls unter die Bezeichnung Dramma giocoso stellen.
Nach der intensiven Ausweitung des Opernbetriebes im Jahr 1776 schreibt Haydn seine dritte Goldoni-Oper „Il mondo della luna“(1777), die erste seiner Opern, die sich im 20. Jahrhundert einer veritablen Renaissance erfreuen sollte. Noch vor dem verheerenden Brand des Operntheaters am 18. November 1779 hatte Haydn „La vera costanza“ (ca. 1778) komponiert – von dieser Oper existiert nur noch die 2. Fassung von 1785 – und auch die ins Oratorienhafte hinüberspielende Metastasio-Oper “L’isola disabitata” (1779), die bezeichnenderweise die Bezeichnung Azione teatrale trägt. Die Wiedereröffnung des neu hergestellten Operntheaters erfolgte am 25. Februar 1780 mit „La fedeltà premiata“ – in völlig neue Bereiche der Operngattung sollten schließlich Haydns letzte beide Opern für Esterháza weisen:
„Orlando paladino“ (1782) – ein Stoff aus Ariosts „Orlando furioso“ verläßt die heitere Welt der Buffa und wird deshalb auch als Dramma eroico-comico bezeichnet, und vollends das Dramma eroico „Armida“ (1783), dem Epos „Gerusalamme liberata“ von Torquato Tasso folgend, wird in die Bereiche der Opera seria vordringen, ohne deren traditionellen Forderungen – wie wir sehen werden – mehr völlig Genüge zu tun.
Dr. Harald Haslmayr
Der Kulturhistoriker Harald Haslmayr wurde 1965 in Graz geboren. Studium der Geschichte und Deut-schen Philologie. 1994 promovierte er mit einer Arbeit über geschichtsphilosophische Aspekte im Werk Robert Musils. Seit 1991 ist er Lehrbeauftragter und Assistent am Institut für Wertungsforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst sowie Lehrbeauftragter am Institut für Österreichische Ge-schichte an der Karl Franzens Universität Graz. Zahlreiche Publikationen zu kulturhistorischen, ästhetischen und philosophischen Themen. 1999 erschien sein bemerkenswertes Musikporträt „Joseph Haydn, sein Werk – sein Leben“ im Verlag Holzhausen.